Pietro Catalano: Vom Automechaniker zum “Crazy Food Junkey”
Zum Interviewtermin kommt Pietro Catalano mit schmutzigen Händen. «Sorry», meint er verlegen, und wischt sie am Hosenbein ab. «Ich musste gerade noch das Schneemobil reparieren. Morgen geht’s ja wieder hoch.» «Hoch», das heisst in diesem Fall: zu Heidi’s Hütte, herrlich kitschig inmitten der Aletsch Arena gelegen. Auf mehr als 2000 Metern Höhe hat der «crazy food junkey», wie er sich selber nennt, im vorigen Winter ein echtes Juwel geschaffen. Bis am Nikolaustag war man damals auf glühenden Kohlen gesessen und hatte um die letzte Bewilligung gebangt; am 20. Dezember 2018 wurden die Pforten geöffnet; keine vier Monate später flatterte ein Brief von Gault-Millau ins Haus: Heidi’s Hütte hatte es innert Rekordzeit unter die 800 besten Restaurants der Schweiz geschafft – ein Ritterschlag! Jetzt also: auf zu Runde Nummer zwei! Doch von vorn.
Pietro, Du ziehst in den Walliser Bergen von null auf hundert ein Restaurant hoch, staubst gleich in der ersten Saison zwölf Punkte bei Gault-Millau ab, und reparierst «mal schnell» Dein Schneemobil? Bitte erklär’s mir.
Ja logo! (Lacht) Ich habe doch Automechaniker gelernt.
Nicht Dein Ernst?
Doch, voll! (Lehnt sich zurück, verschränkt die Hände am Hinterkopf und kostet meine Verwirrung aus.) Drei Jahre Lehre als Mech, ordentlich abgeschlossen, mit allem Drum und Dran.
Dann warst Du in Autos verknallt, ehe Du Deine Liebe zur Gastronomie entdecktest?
Naja, eigentlich habe ich die Lehre als Automechaniker nur gemacht, um danach Musik zu studieren.
[Sprachlosigkeit. Fragender Blick.]
Schau, es war so: Ich war in der Schule ein – na sagen wir mal – schwieriger Kandidat. Mathe und Sport? Ok! Aber Sprachen und all die anderen Fächer? Vergiss es! Ich war wirklich eine Niete. Aber ich wollte Musik studieren. Und das um jeden Preis. Also habe ich die Lehre als Automechaniker gemacht. Das war die Freikarte zum Studium. Und Autos hatten mich, wie wahrscheinlich jeden Buben, schon immer fasziniert.
Und von der Werkstatt ging’s direkt ans Konservatorium?
Ja, so ungefähr. (Lacht) Nachdem ich endlich durfte, habe ich an den Hochschulen in Luzern und Lugano klassische Trompete studiert. Das war schon immer mein Ding! Als Kind hätte ich stundenlang zuhören können, wenn mein Onkel auf dem Kornett spielte. Er war ein normaler Büezer, aber Mitglied im Musikverein bei uns am Ort. Wenn er ins Horn blies, daheim oder bei Konzerten, dann hätte ich platzen können vor Stolz. Für mich war mein Onkel mein Held!
Dein Karriereziel folglich: Profimusiker?
Phasenweise bestimmt. In meinem jugendlichen Wahn hatte ich mal den Traum entwickelt, beim Warner Brothers Filmorchester die Solotrompete zu spielen. Irgendwie wäre ich ja schon auch gern der Leader gewesen, der Principal, der den Ton angibt. Und ich hatte ernstzunehmende Engagements, habe beim Schweizer Jugend-Sinfonie-Orchester gespielt und in der Europäischen Jugend Brass Band. Da war sicher Potenzial. Ein Bekannter meines Vaters meinte dann aber – und er hatte NULL Ahnung von Musik –, dass man beim Warner Brothers Filmorchester bestimmt nicht gut verdiene. Damit war die Karriere beendet. (Schmunzelt)
Bei mir daheim in Deutschland enden brotlose Musiker in der Regel als Taxifahrer. Du hingegen startest als Gastronom durch. Wie um alles in der Welt hast Du das angestellt?
(Überlegt kurz) Na, ganz von Ungefähr kam das ja nicht. Meine Eltern betreiben, seit ich denken kann, italienische Restaurants hier in der Schweiz. Ich bin dort aufgewachsen. Das prägt einen natürlich. Ich konnte kaum laufen, da wollte ich schon servieren. Meiner Mutter wurde manchmal fast schlecht, wenn ich kleiner Knopf in der Küche mit den grossen Messern hantierte. Was noch dazukommt: Gegessen habe ich schon immer gern... (Grinst) Wenn Du’s pathetisch ausdrücken möchtest: Ich habe es im Blut. Und ich habe natürlich immer bei meinen Eltern gejobbt. Das war die beste Schule ever! Da lernt man alles – vom Gläserspülen bis hin zur Konzeptualisierung.
Du hättest brav das Restaurant Deiner Eltern weiterführen können – aber nein, es braucht eine Hütte im Wallis?
Glaub mir, ich habe mich im ‚La Campana` lange genug ausgetobt! (Lacht) Als ich 18 war, habe ich jeden Samstag bei einem Freund, der Önologe ist und eine Vinothek betreibt, im Laden gesessen und Weine studiert. Ich wollte ALLES wissen! Was ich gut fand, kam bei uns in den Ausschank. Auch beim Essen habe ich herumexperimentiert. Andere lernen das Kochen vielleicht in der Lehre; ich habe Bücher gewälzt, habe stundenlang auf YouTube Videos verschlungen und vor allem: ausprobiert. Der geborene Autodidakt! Einmal habe ich eine Goldpizza auf die Karte genommen. 178 Franken das Stück. Die Pizza war in Sternform; auf jedem Zacken lag 24-karätiges Blattgold. Das war damals die teuerste Pizza der Schweiz!
Hat sich das Rezept bewährt?
Nein, natürlich nicht. (Lacht) Nach einem Jahr nahm ich die ‚Pizza Stella` wieder von der Karte. Aber Du wirst es nicht glauben: Zweimal wurde sie tatsächlich bestellt! (Lacht schallend)
Jetzt verrate mir doch endlich mal, wie Du zu Heidi’s Hütte kamst, Pietro!
Genau genommen, war das Zufall. Im Juni vergangenen Jahres war klar: Der Pachtvertrag für unser Lokal würde auslaufen. Ich machte mich auf die Suche, stiess auf ein spannendes Inserat, bekundete mein Interesse – und hörte dann monatelang nichts. Als ich die Sache längst vergessen hatte, kam Ende September eine E-Mail. Ob wir denn nach wie vor daran interessiert seien, Heidi’s Hütte zu pachten... Ja klar! Besichtigungstermin, einige Abklärungen, und die Sache war unter Dach und Fach. Ich hatte vom ersten Augenblick an ein gutes Gefühl. Irgendwie stimmte da die Chemie. Mein Bauch sagte sofort: ja!
Pietro, Du bist sonst eigentlich nicht der esoterische Typ?
Nein, überhaupt nicht. Aber bei der Hütte war das echt ganz besonders. Wie sich herausstellen sollte: zu Recht. Ich sollte vielleicht öfter auf meinen Bauch hören...
Ende Oktober 2018 war der Pachtvertrag fix – wie ging es weiter?
Das war der Wahnsinn! Wir mussten innerhalb kürzester Zeit ein Konzept erstellen, Mitarbeiter akquirieren, die ganze Ausstattung besorgen – irre! Am schlimmsten war der Kampf mit den Behörden. Das treibt einen zur Verzweiflung! Anfang Dezember war noch nicht klar, ob wir die Betriebsbewilligung bekommen würden; dabei sollte es am 20. Dezember ja offiziell losgehen...
Scheint geklappt zu haben?
Ja, ein Glück! (Strahlt) An Nikolaus kam die Erlaubnis – und zwei Wochen später die ersten Gäste. Danach ging’s nur noch rund! Bis Ostern war ich am Arbeiten, sieben Tage die Woche, auch am Sonn- und Feiertag. Wir haben drinnen 25 Plätze zur Verfügung; manchmal machten wir über Mittag 200 Essen. Da ist man am Rotieren! Drei Personen für Ausschank und Service, zwei in der Küche – mehr geht nicht. Schon aus Platzgründen! Unsere Küche ist winzig. Wenn ich selbst dort drinstehe und noch ein Spüler, dann ist die voll. Die Kaffeemaschine mussten wir um’s Eck stellen, für sie war schlichtweg kein Platz. Und stell Dir vor: die ganzen Lebensmittel! Die müssen ja irgendwo gelagert werden. In der Hütte war das unmöglich. Draussen war auch keine Option; bei den Temperaturen kannst Du draussen ja maximal Kaffee und Klopapier lagern. Wir mussten daher das meiste, das wir im Laufe des Tages brauchen würden, am Morgen mit hochbringen.
Per Helikopter?
Oh, schön wär’s! (Lacht) Nein, per Gondel und Snowscooter. In meinem Gästezimmer im Tal und im Kellerabteil türmten sich damals die Lebensmittel. Allein 16 Liter Milch gingen jeden Tag drauf. Ich habe also in der Früh alles ins Auto gepackt. Das ging manchmal ziemlich in die Knie. (Lacht) [Anmerkung der Redaktion: Pietro fährt einen roten Fiat Punto...] Weiter in die Gondel, zur Mittelstation, ins Schneemobil, und ab zur Hütte. Bevor wir die Waren dort abstellen konnten, mussten wir uns manchmal den Weg regelrecht freikämpfen. Bei Schneehöhen von bis zu zwei Metern gibt es mächtig was zu Schaufeln...
Oh shit!! Nach Ferien hört sich das nicht an?
Es war eine krasse Tortur! Aber es hat sich gelohnt. Sonst würde ich mir das ab morgen ja nicht nochmal antun. (Schmunzelt) Im Ernst: Das Projekt von Grund auf zu planen, auf die Beine zu stellen und so erfolgreich durchzuziehen, das ist der Hammer! Dabei ist uns ja so viel Kritik um die Ohren geflogen, als wir die Zelte aufgeschlagen haben im Wallis.
Inwiefern?
Heidi’s Hütte war früher ein ganz bodenständiges Lokal. Da gab’s Wienerli und Brot, Gerstensuppe und Sandwiches. Halt alles, was es in herkömmlichen Skihütten so gibt. Und dann kommt plötzlich ein Irrer, war vorher noch nie in Fiesch, hat sich alles Gastronomische selbst beigebracht, und bietet Trüffel an – auf der Skihütte! So etwas hatte man im Wallis bis dahin nicht gesehen. Du kannst Dir bestimmt vorstellen, wie die Einheimischen die Nase rümpften. In den ersten Tagen und Wochen hagelte es Kritik. Das Preisniveau sei überzogen, das Konzept völlig überkandidelt. Es würde sich schon zeigen, wohin das führe... Mit zunehmendem Erfolg wurden die Spötter leiser. Heidi’s Hütte hatte die Feuerprobe bestanden.
Trüffel? Schon mal nicht schlecht. Was macht Ihr sonst so?
Ich bin ein Fan von guten Dingen. Nicht überkandidelt, versteh mich nicht falsch. Das mit der Goldpizza, das war halt damals so eine Idee... Nein, was ich sagen möchte: Am wichtigsten ist Qualität! Ordentliche Tagliatelle, sechs Minuten gekocht, in Butter und Salbei geschwenkt, dazu ein gutes Glas Wein. Mehr braucht es nicht. Erstklassige Produkte, eine anständige Aufmachung, kein grosses Chichi – that’s it. Sicherlich gibt es bei uns Spitzenweine für 3300 Franken die Flasche. Die Flasche hat dann aber ein Volumen von sechs Litern, und wir haben auch Weine für 39 Franken die Flasche auf der Karte... Was ich damit sagen will: Wir sind nicht die klassische Skihütte, wo zur Schlagermusik kräftig einer gebechert wird. Bei uns macht man Pause, isst, fährt gestärkt und erholt wieder weiter. Wir haben inzwischen Stammgäste, die kommen auf ein Erdinger Weissbier vorbei. Andere buchen lange im Vorfeld ihre fixen Tische. Dieses Jahr bieten wir extra einen Chef’s Table an. Vier bis zehn Personen; vier, fünf oder sechs Gänge; mit oder ohne Trüffel und Wein. Ich bin mega gespannt, wie das ankommt! Und überhaupt freu ich mich. Mich kitzelt’s schon richtig in den Fingern!
Morgen früh geht’s los – wie wird das Wetter im Wallis?
Also DIESE Frage musst Du jetzt echt dem Petrus stellen... (Lacht)
Lieber Pietro, danke für das Gespräch, und rocke uns Heidi’s Hütte!!
Nachtrag: Die Post von Gault-Millau kam im März und landete in Pietros Elternhaus. Weil die Mutter das Schreiben für lästige Werbung hielt, liess sie es mehr als eine Woche lang unbeachtet liegen. Erst dann erwähnte sie gegenüber ihrem Sohn im Halbsatz, da sei «etwas für ihn gekommen»...