Lektüretipp: Dalí. Die Diners mit Gala.

Eines vorweg: Zum Nachkochen sind die 136 Rezepte aus Dalís illustriertem Kochbuch nur bedingt geeignet. Wer es mit «Ochsenmaul im Windbeutel», «Hummer mit schwarzen Perlen» oder «Rebhühnern auf Toast» aufnehmen möchte, der braucht dazu nicht nur überdurchschnittliche Expertise am Herd, sondern auch eine exotisch-üppige Vorratskammer; beides dürfte den meisten von uns fehlen. Wer allerdings weniger eine fachkundige Kochanweisung denn eine multisensorische kulinarische Reise im Sinn hat, wer sich an surrealistischem Witz und verschrobenen Gaumenfreuden ergötzen möchte, dem seien die «Diners mit Gala» dringend empfohlen. Der Taschen-Verlag hat neu aufgelegt, was der ebenso grosse wie polarisierende Künstler (1904–1989) erstmals 1973 zu Ehren seiner Gattin und Muse Gala (1894–1982) publizierte.

Schneckenragout und nächtliche Gelüste

Das Schmökern macht mich Schwindeln. Ich switche von den Peruanischen Krebsen («Krebse sind zwar ein königliches, aber äusserst lästiges Mahl») zu Austern à la Brolatti (wichtig: «aus Marsennes oder Belon!»), bleibe an einer Festtafel hängen, die vor Üppigkeit fast einknickt, halte kurz den Atem an beim Schneckenragout («Ein köstliches und belustigendes Essen, das Sie Freunden servieren sollten»), bin beim Gefüllten Kaninchen in Rotwein schon fast wieder versöhnt («Zuerst müssen Sie die Knochen aus dem Kaninchen lösen. Das ist allerdings ein heikler Prozess») und stürze mich neugierig in Nächtliche Gelüste.

Sex, Hummer und Kannibalismus

Bis ich bei der Schweinsohrsuppe («Eine Delikatesse so recht zur Einstimmung an einem Winterabend») lande, bin ich restlos erschlagen. Noch bis vor Kurzem hatte für mich – ganz Minimalist! – «Einfach gut essen» von Ex-Käfer-Küchenchef Volker Eisenmann als Bibel gegolten; jetzt sehe ich mich einem hemmungslos prächtigen, überbordenden, ja fast obszönen Gelage gegenüber.

Da treffen kristallene Trinkkaraffen auf sorgsam poliertes Silber, Etageren biegen sich unter der Last von exotischen Früchten, Pfauen sind «inmitten des Hofstaats» drapiert und nicht einmal vor «Monarchenfleisch» macht man Halt. Sex und Hummer, Collagen und Kannibalismus verschmelzen. Es quellen Spaghetti («Die Kochzeit beträgt 20 Minuten, kann aber je nach Fabrikat verschieden sein») aus silbernen Cinderella-Schühchen und Zahnbürsten dienen einem Vogel als Schwanz.

Opulentes Gastmahl

Beim Durchbohrten Herz («Das Herz richten Sie nun auf dem Kuchen an und servieren die Sosse in einer Sauciere dazu») fällt endlich der Groschen: Hatte ich nicht vor vielen Jahren im Lateinunterricht schon Ähnliches gelesen?

Und in der Tat: Wenngleich Dalí sich wie kaum ein anderer seiner Pariser Surrealistenfreunde an opulentem Mahl erregte, wenngleich ein Avocado-Toast mit Hammelhirn und Tequila ihn in regelrechte Ekstase versetzen konnte und er all dies mit fast brutaler Entschiedenheit auf Papier bannte: Erinnerte das nicht alles stark an die Cena Trimalchionis? Die längste erhaltene und wohl bekannteste Episode aus dem fragmentarisch überlieferten Satyricon des Petronius Arbiter? In sprichwörtlich ekelerregenden Worten wird dort das Gastmahl des Trimalchio beschrieben. Als Zeugnis seiner vermeintlichen Weltläufigkeit und Belesenheit lässt der ehemalige Sklave, ein neureicher Emporkömmling!, immer ausgefallenere Speisen auffahren. «Eine Bande von Mitessern und Schmarotzern versammelt sich um den zu irrwitzigem Reichtum gelangten, freigelassenen Sklaven Trimalchio. An seiner Tafel öffnet eine Cloaca maxima ihre Schleusen: ein vulgärlateinischer Strom von Volks- und Gossensprache, artikulierend eine Welt ohne Götter, eine Zivilisation, die alle menschlichen Verhältnisse relativiert.»

Der Kiefer - unser bestes Werkzeug

Während es Petron bei der Schilderung des Gelages beliess, liefert Dalí die Rezepte freundlicherweise gleich mit. Der im Taschen-Verlag erschienene Nachdruck enthält 136 Rezepte – eingesammelt in Pariser Edelrestaurants – in zwölf vom Künstler eigens bebilderten Kapiteln. Saucen-Sottisen und Bouillon-Bonmots des Meisters à la «Der Kiefer ist unser bestes Werkzeug, um uns philosophisches Wissen anzueignen» oder «Den Elan meiner Eingeweide halte ich für den höchsten Wegweiser» geben zusätzliche Würze. Und auch eine Warnung lässt Dalí in einem der verrücktesten Kochbücher aller Zeiten nicht vermissen: «Les dîners de Gala ist einzig den Freuden des Gaumens gewidmet. … Sollten Sie ein Jünger jener Kalorienwieger und -wäger sein, die die Freuden des Mahles in Strafen verwandeln, so schliessen Sie dieses Buch sofort: Es ist viel zu lebendig, viel zu aggressiv und viel zu herausfordernd für Sie.»

Dalí. Die Diners mit Gala, Hardcover, 21,2 x 30,2 cm, 1,96 kg, 320 Seiten, ISBN 978-3-8365-0876-6, Ausgabe: Englisch, CHF 50

 

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