Tischuhr von Junghans: Purismus auf dem Küchentisch
Kaum hatten wir den grossen Tisch angeschafft, fühlten wir uns irgendwie einsam. Zwei Leutchen am unteren Ende der Tafel. Und daneben? Gähnende Leere. Wir brauchten dringend etwas, was Leben auf den Tisch bringen würde, sehnten uns nach ein bisschen Stil, etwas Praktischem, einer ausgefallenen Ergänzung zu den Klassikern Blume und Kerze. Unsere Wahl fiel auf die Tischuhr von Junghans. Sie ist der perfekte Blickfang, erfüllt ihren Zweck – und katapultiert uns mitten hinein in die Klassische Moderne. Entworfen wurde sie von keinem Geringerem als dem Schweizer Architekten, Künstler und Maler Max Bill.
GEPRÄGT VON DEN GANZ GROSSEN
Wenn die Gerüchte stimmen, war Max Bill schon in jungen Jahren ein Dickkopf. Wohl deshalb gaben die Eltern den 1908 in Winterthur geborenen Buben in ein Erziehungsheim. Dort entdeckte der Sohn eines Eisenbahnbeamten sein kreatives Talent – und stiess bei seinen Eltern auf taube Ohren. «Künstler» als Berufsziel kam schlichtweg nicht infrage. Etwas Solides sollte es stattdessen sein, mahnte der Vater, und drängte den Sohn zu einer Lehre als Silberschmied. Den eigenwilligen Kreationen, die Max Bill dort noch als Lehrling erschuf, ist es zu verdanken, dass ihm 1925 die Einladung zur Internationalen Kunstgewerbemesse in Paris ins Haus flatterte. Dort waren es vor allem die Werke von Le Corbusier, Josef Hoffmann und Konstantin Stepanowitsch Melnikow, die ihn am meisten faszinierten. Kaum zurück in Zürich, die nächste Weichenstellung: Max Bill bleibt beim Blättern in einer Zeitschrift an einer Annonce hängen. «Das Bauhaus hat natürlich besondere Attraktivität bekommen, weil ans Bauhaus Leute von überallher hingekommen sind», hiess es da. Ab dann gab es kein Halten mehr. Der junge Schweizer wollte nach Dessau – und er schaffte es. Von 1927 bis 1928 studierte er am Bauhaus, wo zu diesem Zeitpunkt Grössen wie Wassily Kandinsky, Oskar Schlemmer, Paul Klee, Josef Albers und László Moholy-Nagy lehrten.
FOKUS AUF FUNKTION
Was heute als eine der einflussreichsten Ideenschmieden überhaupt im Bereich Kunst, Architektur und Design des 20. Jahrhunderts gilt, sollte den jungen Schweizer für den Rest seines Lebens prägen. Die Kernidee des Bauhauses, Handwerk und Kunst miteinander zu vereinen und sie für jeden zugänglich zu machen, begeisterte Bill. Produkte industriell und in Serie herzustellen, um nicht nur den Alltag zu revolutionieren, sondern eine neue, bessere Welt zu gestalten, traf ihn ins Herz. Das Utopie-freudige Denken, dem der Schweizer während seiner Zeit im Bauhaus zum ersten Mal begegnete, sollte ihn auch später bei seinen Tätigkeiten leiten.
ALLES AUSSER PRÄTENTIÖS
Als Mitte der 1950er Jahre die Schramberger Uhrenfirma Junghans mit dem Auftrag, eine Uhr zu kreieren, an Max Bill herantrat, zögerte dieser nicht lange. Er nahm an und machte sich ans Werk. Sein Briefing: Die Uhr solle über einen Kurzzeitmesser verfügen, gab man dem Künstler und Produktdesigner mit auf den Weg, sie solle aus Keramik sein und war für die Küche gedacht. Alles Weitere blieb Bill und seinem Team, den Studenten an der Hochschule für Gestaltung in Ulm, überlassen. Herausgekommen ist eine Uhr, die die gestalterischen Tugenden des Bauhaus exemplarisch umsetzt. Es geht um Funktion, will heissen: um die perfekte Ablesbarkeit der Zeit. Alles andere ist dem nachgestellt. Prätentiöses Uhrendesign, das gerade zu dieser Epoche Hochkonjunktur feierte, sucht man da vergebens.
FRUCHTBARE ZUSAMMENARBEIT
Mit der Küchenuhr war der Anfang gemacht; sie sollte der Grundstein sein für die überaus fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Junghans und Max Bill. Vor allem die Armbanduhren, die ab 1961 auf den Markt kamen, haben Designgeschichte geschrieben. Rund um den Erdball schätzen nicht nur Uhrenliebhaber die Modelle der Max-Bill-Kollektion; auch in die Designabteilungen renommierter Museen – darunter das Museum of Modern Art in New York ebenso wie die Pinakothek der Moderne in München – haben es die Stücke geschafft.
EBENSO ZEITLOS WIE EDEL
Unseren Esstisch ziert nun also die dritte Uhrenvariante, die Max Bill neben der Wand- und der Armbanduhr für Junghans entwarf. Mit ihrer klassisch-puristischen Optik, ihrer Geradlinigkeit und den harmonischen Proportionen ist die Tischuhr die perfekte Repräsentantin des Bauhaus. Dass auf jeglichen Schnickschnack verzichtet wurde, heisst nicht, dass auch an den Materialien gespart worden wäre. Ganz im Gegenteil. Gebürstete Aluminiumringe, Mineralglas sowie drei verschiedene Gehäusevarianten aus Holz (Nussbaum, schwarzer Klavierlack und seidenmattes Weiss) machen die Uhr zu einem ebenso edlen wie zeitlosen Accessoire.