Lektüretipp: Berufsethik trifft Selbstfürsorge
Kann Arbeit glücklich machen? Und wenn ja – wie zur Hölle geht das? Claas Lahmann, Arzt und Psychotherapeut, hat eine überraschend einfache Antwort: „Love it, change it, or leave it“ rät er in seinem neuen Buch. Klingt simpel, aber trifft einen Nerv.
Was macht Arbeit eigentlich mit uns? Und was machen wir mit ihr?
Wenn man Prof. Dr. Claas Lahmann fragt, ist die Antwort klar: Arbeit prägt unser Leben. Täglich. Tiefgreifend. Und oft unterschätzt. In seinem Buch „Wie Arbeit glücklich macht“ geht der Arzt und Psychotherapeut gemeinsam mit Co-Autorin Kerstin Kropac genau dieser Frage nach – differenziert, praxisnah und mit dem festen Glauben daran, dass man sein berufliches Glück selbst in die Hand nehmen kann.
Lahmann strukturiert sein Buch entlang eines einfachen, aber wirksamen Dreischritts: Love it. Change it. Leave it. Wer glücklich arbeiten möchte, sollte zunächst prüfen, ob er die aktuelle Arbeitssituation annehmen kann („Love it“). Ist das nicht der Fall, stellt sich die Frage: Lässt sich etwas verbessern („Change it“)? Erst wenn auch das nicht gelingt, heißt es: „Leave it“. Der Jobwechsel als bewusste Entscheidung – nicht als Flucht. Diese klare Struktur zieht sich durch das gesamte Buch und macht es so zugänglich wie nützlich.
Vertrauen, Fairness, psychologische Sicherheit
Im Zentrum steht dabei weniger die klassische Karrierefrage als die Suche nach echter Arbeitszufriedenheit. Und die, so Lahmann, hängt selten an Bonuszahlungen oder flexiblen Arbeitszeiten. Vielmehr geht es um psychologische Grundbedürfnisse: Vertrauen, Gerechtigkeit, Sicherheit im Team. Ein Arbeitsumfeld, das diese Faktoren erfüllt, ist für die Gesundheit und Motivation wertvoller als jedes neue Benefit-Programm. Ob man morgens mit Widerwillen oder mit einem Funken Freude ins Büro geht, entscheidet sich eben nicht allein am Gehaltszettel.
Besonders eindrücklich ist Lahmanns Beschreibung der vier Grundprinzipien für ein glückliches Arbeitsumfeld: Autonomie, ein faires Geben-und-Nehmen, erlebte Gerechtigkeit und psychologische Sicherheit. Wer sich ernst genommen fühlt, wer weiß, dass Fehler nicht gleich Bestrafung bedeuten, und wer das Gefühl hat, einen sinnvollen Beitrag zu leisten, wird eher aufblühen als ausbrennen. Das klingt simpel, ist aber in vielen Unternehmen noch lange nicht selbstverständlich. Lahmann betont, dass das emotionale Klima am Arbeitsplatz oft ausschlaggebender ist als jede neue Strategie oder Restrukturierung. Menschen brauchen das Gefühl, gesehen zu werden. Gehört. Respektiert.
Dabei ist Arbeit nicht nur äußere Struktur, sondern immer auch Spiegel innerer Prozesse. Wer sich permanent überfordert fühlt, gestresst ist oder in einem toxischen Teamklima steckt, wird auf Dauer krank. Lahmann kennt diese Mechanismen aus seiner klinischen Arbeit nur zu gut. Und er zeigt, wie eng seelische Gesundheit und beruflicher Alltag miteinander verwoben sind. Wer sich im Job klein fühlt, verliert oft auch das Vertrauen in die eigene Lebensgestaltung. Umgekehrt kann ein positives Arbeitsumfeld wie ein Resonanzraum wirken: fördernd, stabilisierend, sinnstiftend.
Ein ehrliches Buch ohne Patentrezepte
Was das Buch besonders macht, ist die Verbindung von Theorie und Alltag. Lahmann bringt als Leiter einer Universitätsklinik für psychosomatische Medizin nicht nur wissenschaftliche Expertise mit, sondern auch jede Menge Erfahrung mit Menschen, die an ihrer Arbeit krank geworden sind. Seine Fallbeispiele sind real, seine Analysen fundiert, seine Sprache zugänglich. Und immer wieder zeigt er: Es gibt keinen Masterplan für berufliches Glück. Aber es gibt viele kleine Stellschrauben, an denen man drehen kann.
Wer schnelle Erfolgstipps sucht, wird bei Lahmann nicht fündig. Aber wer bereit ist, sich selbst und die eigene Arbeitssituation ehrlich zu reflektieren, wird umso mehr mitnehmen. Das Buch liefert keine einfachen Antworten, aber die richtigen Fragen. Und es gibt dem Leser Tools an die Hand: Reflexionsfragen, Checklisten, Beispiele. Schritt für Schritt lernt man, sich selbst zu beobachten, Muster zu erkennen – und gegebenenfalls zu ändern. Besonders hilfreich: Die „Mini-Therapie-Einheiten“ zwischendurch, die helfen, Denkblockaden zu lösen und neue Perspektiven zu entwickeln.
Im letzten Teil des Buches geht es ums Loslassen. Was tun, wenn sich trotz aller Mühen nichts ändert? Wenn man sich im Job nicht mehr erkennt, nur noch funktioniert? Lahmann beschreibt, wie man achtsam und reflektiert zu dem Schluss kommen kann: Jetzt ist es genug. Ohne Drama, ohne Schuldgefühle. Sondern mit dem Mut, einen neuen Weg zu wagen – und der Klarheit, was man sich von der Zukunft wünscht. Dabei plädiert er keineswegs für den schnellen Abgang, sondern für einen bewussten Prozess. Wer geht, sollte wissen, wohin. Und vor allem: warum.
Ob Berufseinsteiger oder Führungskraft, ob zufriedener Angestellter mit gelegentlichen Zweifeln oder erschöpfte Projektmanagerin kurz vor dem Burnout: Dieses Buch hat für jeden etwas zu bieten. Es ist ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit in der Arbeitswelt. Und ein Mutmacher, nicht auf äußere Umstände zu warten, sondern selbst anzufangen. Denn, so Lahmann: Arbeitsglück ist kein Zufall. Es ist das Ergebnis bewusster Entscheidungen.
Claas Lahmann, Kerstin Kropac: Wie Arbeit glücklich macht – und wann man darüber nachdenken sollte, den Job zu wechseln, Rowohlt, 288 Seiten