Lektüretipp: Mark Twain und die Tücken der deutschen Sprache
Es gibt wohl wenige Autoren, die so treffend und gleichzeitig urkomisch die Tücken der deutschen Sprache seziert haben wie Mark Twain in seinem Essay «Die schreckliche deutsche Sprache» (englischer Originaltitel: The Awful German Language). Der Text, der im Rahmen seines Buches «Bummel durch Europa» erschien, ist ein sprachlicher Leckerbissen – für all jene, die Deutsch lieben, hassen oder irgendwo dazwischenstehen.
Twains Reisebericht enthält eine Mischung aus Bewunderung und Verzweiflung über eine Sprache, die ihrer eigenen Logik zu trotzen scheint. Mit scharfem Humor und einem grossen Augenzwinkern schildert er die Mühsal, sich durch endlose Komposita, verrückte Artikel und komplexe Satzstrukturen zu quälen. Ein Essay für alle, die sich jemals gefragt haben, warum der Tisch maskulin ist, die Tür feminin daherkommt und das Mädchen sämtliche Genderkonventionen sprengt.
Ein Mann, eine Mission: Deutsch lernen
Mark Twain, der bekennende Liebhaber von Sprachen, nahm sich während seiner Europareise vor, Deutsch zu lernen. Eine mutige Entscheidung, wie sich herausstellen sollte! Schon bald fand er sich in einem Dschungel aus Deklinationen, unübersetzbaren Redewendungen und den gefürchteten «trennbaren Verben» wieder. Sein Urteil: «Deutsch lernen ist kein Vergnügen, sondern harte Arbeit.»
Twain illustriert dies mit Beispielen, die jedem Deutschlernenden das Lachen und Weinen gleichzeitig bringen. Besonders hält er der Sprache ihre Artikel-Regeln vor: Warum heisst es «der Mond», aber «die Sonne»? Warum gibt es überhaupt drei Geschlechter? Und warum scheint das Adjektiv-Endungs-Karussell nie zu stoppen? Seine Lösungsvorschläge: Alle Artikel abschaffen und die Grammatik auf ein Minimum reduzieren.
Ein besonders amüsantes Beispiel bringt Twains Verzweiflung auf den Punkt: «Im Deutschen hat eine junge Dame kein Geschlecht, eine Rübe hingegen schon.» Für ihn zeugt das von «übertriebener Ehrerbietung für die Rübe» und «dickfelliger Respektlosigkeit gegenüber dem Fräulein».
Twain schildert auch ausführlich den Schrecken der deutschen Fälle. Mit einer Mischung aus Verwirrung und Resignation beschreibt er, wie eine harmlose Frage nach einem Vogel – «Wo ist der Vogel?» – in ein grammatikalisches Desaster mündet, sobald Präpositionen ins Spiel kommen. «Wegen des Regens», erklärt ihm der Lehrer schliesslich, sei die korrekte Antwort. «Wegen den Regen» sei unter sehr speziellen Umständen auch erlaubt, fügt ein anderer hinzu. Twain kommentiert trocken: «Nur beim Regen. Warum, weiss niemand.»
Der Kampf mit den zusammengesetzten Wörtern
Wer sich jemals über deutsche Komposita wie «Donaudampfschifffahrtsgesellschaftskapitän» oder «Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz» gewundert hat, wird Twains Analyse lieben. Er nennt sie «wörtliche Röntgenaufnahmen» und ist fasziniert von der Möglichkeit, scheinbar beliebig neue Wörter zu erschaffen. Doch trotz der bewunderten Flexibilität lässt er kein gutes Haar an dieser Eigenheit: «Ein deutsches Wort ist wie ein Umzug, bei dem der Koffer nicht aufgeht.»
Twain mokiert sich gleichermassen über die endlose Aneinanderreihung von Silben, die eine gesamte Lebensgeschichte in ein einziges Wort pressen. Besonders treffend formuliert er: «Manche deutschen Wörter sind so lang, dass sie über einen eigenen Fluchtpunkt verfügen.» Diese linguistischen Monster mögen praktisch sein, bleiben aber einschüchternd – vor allem für Sprachschüler.
Neben den Komposita zielt Twains Kritik auf die Parenthesen. Er beschreibt deutsche Sätze, die sich wie verschachtelte Matroschka-Puppen aus unzähligen Einschüben zusammensetzen. Amüsant schildert er eine Erfahrung mit einem Satz, bei dem das Verb erst in der letzten Zeile auftaucht – nach «haben sind gewesen gehabt geworden sein». «Ein Satz so majestätisch wie ein Monument», bemerkt Twain, nur um sich anschliessend über die «versteckten» Verben lustig zu machen.
«Schrecklich» oder genial?
Trotz aller Ironie schwingt in Twains Essay auch eine grosse Faszination mit. Denn so frustrierend die deutschen Sprachgesetze sein mögen, sie besitzen eine Eleganz und Konsequenz, die ihresgleichen suchen. Twain selbst gesteht, dass Deutsch «eine bewundernswerte Sprache ist – nur eben nicht für Menschen».
Seine witzigen Beobachtungen und klugen Vorschläge lassen uns schmunzeln – und regen gleichzeitig zum Nachdenken an. So merkt er beispielsweise an: «Im Deutschen beginnt jedes Substantiv mit einem Grossbuchstaben. Das ist mal eine gute Idee; und eine gute Idee ist in dieser Sprache aufgrund ihrer Seltenheit notwendigerweise auffällig.»
Twain schlägt ausserdem vor, den Dativ abzuschaffen und das Verb im Satz weiter nach vorne zu rücken. «Der Dativ ist dem Deutschen sein Tod», könnte man augenzwinkernd hinzufügen. Besonders prägnant ist sein Vorschlag, deutsche Wörter künftig mit Pausen vorzulesen, damit der Sprecher Zeit hat, «Erfrischungen einzunehmen».
Ein moderner Klassiker
Mehr als 140 Jahre nach seinem Erscheinen ist «Die schreckliche deutsche Sprache» aktueller denn je. Gerade in einer Welt, in der Sprachen zunehmend von Algorithmen übersetzt werden, bleibt Twains Essay ein humorvoller Appell, die Eigenheiten einer Sprache zu schätzen – auch wenn sie uns manchmal in den Wahnsinn treiben.
Twain selbst blieb der deutschen Sprache treu. In späteren Werken und Reden setzte er sich immer wieder humorvoll mit ihr auseinander, etwa in seiner «Rede zum Schrecken der deutschen Sprache». Mit einem Augenzwinkern flehte er sein Publikum an, seine Reformvorschläge ernst zu nehmen, «damit Sie wenigstens selbst verstehen, was Sie gesagt haben.»
Wenn im April das Thema Sprache bei uns im Mittelpunkt steht, sollte Twains Werk ein Ehrenplatz eingeräumt werden. Es ist nicht nur eine Persiflage, sondern auch eine Liebeserklärung an das Deutsche. Eine Sprache, die uns trotz (oder gerade wegen) ihrer Absurditäten immer wieder zum Lächeln bringt.
Mark Twain sagte einst: «Wenn ein Amerikaner stirbt, geht er in den Himmel. Wenn ein Deutscher stirbt, geht er in ein Grammatikkurs.» Vielleicht sollten wir ihm dankbar sein, dass er diese Reise für uns schon einmal unternommen hat.
Mark Twain: The Awful German Language/Die schreckliche deutsche Sprache, Aus der Reihe Reclams Universal-Bibliothek Band 19493